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Frühling in Andalusien

I thought I’d try something new today: My Andalusian travel essay in German for my German-speaking followers ;-). It’s a first for me, but here it is:

Auf den Spuren Maurischer Kultur

Tag 1.

Der Genuss des individuellen Reisens

Die Leute um mich herum schauen auf ihre Handys. Ich schaue aus dem Fenster. Mir hat das schon immer Spaß gemacht; die Reise selbst reizt mich mehr als die Ankunft am Ziel. Wenn ich alleine reise, wird die bisherige Realität außer Kraft gesetzt und ich tauche in alternative Existenzen ein. Ich reise, um ein anderes Leben, eine andere Identität „anzuprobieren“. Ich betrete dieses illud tempus Eliades; ich lege meine Masken ab, entziehe mich dem dichten Geflecht von Bindungen und Verpflichtungen, verlasse die Routine und schwebe sozusagen durch die Landschaft. Ich sauge die Landschaft vollständig auf und verschmelze mit ihr. „Das Fenster als Seite“,  so formuliert das der Dichter Chris Abani. Die Reise als eine Reihe von Seiten, als Märchen, als Buch in das man eintaucht um zu verschwinden, um etwas anderes zu leben, um jemand anderes zu sein oder gar um mehrere Personen gleichzeitig zu sein.

Ich reise mit Garcia Lorca als meinem einzigen Begleiter ins fabelhafte Andalusien. Unterwegs lese ich Gypsy Ballads und in meinem Kopf werden die Gedichte über die Bilder eingeblendet, die durch das Fenster gehen, wie ein surrealer Filter: meine eigene erweiterte Realität.

Erweitert auch durch das Licht. Über die besondere Qualität des andalusischen Lichts könnte man Bände schreiben. Jetzt, an diesem späten Februarnachmittag, empfängt mich Málaga wie umhüllt in einem langen, trockenen Herbst. Alles ist ockerfarben. Der Wind weht die Plastiktüten über die Boulevards und in den Vierteln in Richtung Flughafen herrscht eine schwere, industrielle Atmosphäre. Hier gibt es nichts Traditionelles. An den Straßenecken finden sich oft Geschäfte mit asiatischen Produkten oder dem gleichen Döner-Kebap, den ich in Bayern zurückgelassen habe. (Selbst im Zentrum werden die kleinen Lebensmittelläden in der Nachbarschaft oft von Asiaten mit müden Gesichtern geführt.) Die gleichen kitschigen Souvenirs, aus synthetischem Material, aber an den Ort angepasst: kleine Flamenco-Kleider, iberische Flaggen, Magnete mit maurischen Festungen.

Mit zunehmendem Alter bringt jede Reise das immer bedrückendere Gefühl der Entwurzelung und den immer ausgeprägteren Eindruck mit sich, dass es nichts Neues mehr unter der Sonne gibt: Globalisierte Städte verschmelzen miteinander und werden zu einem undeutlichen Kontinuum, in dem die lokalen Besonderheiten nur noch zum diskreten Gewürz, zum dumpfen Geschmack werden, der immer schwerer zu entdecken ist.

Am gepflegtesten und strahlendsten scheinen mir die katholischen Kirchen und Pfarrheime zu sein – und selbstverständlich die Kathedralen (reichlich geschmückt mit gotischen Skulpturen aus Sandstein), dessen Wände und Umrisse so massiv sind, dass sie einen fast gegen den eigenen Willen verankern. Die Kathedrale der Menschwerdung in Málaga, obwohl unvollendet, wirkt wie eine befestigte Siedlung. Eine Festung Gottes, die sich nicht nur vertikal, sondern auch horizontal ungestüm entfaltet. Während die deutschen gotischen Dome schlanke, zackige Gipfel wie die Alpen haben, schaffen es hier die Kathedralen durch Masse und Schwerkraft den Besucher zu überwältigen.

Málaga: Hafenstadt, Küstenstadt, Touristenmetropole

Nahe der Küste, oberhalb des Hafens, befindet sich eine weitere Festung: die alte arabische Alcazaba, die als eine der schönsten in ganz Spanien gilt. „Untermauert“ wird sie von einem Gedicht zu Ehren dieser Stadt des Paradieses – zumindest in der Vision von Vicente Aleixandre, Träger des Nobelpreises für Literatur im Jahr 1977. Die Möwen zwitschern hoch am Himmel in der Nachmittagssonne, die bereits im flüssigen Bernstein der Abendstunde gehüllt ist. Seine milden Strahlen verstärken das warme Azurblau der Luft. Ich sitze kurz in der Sonne auf den Tribünenstufen des römischen Theaters, dem einzigen Ort, den ich um diese Zeit noch ohne Eintrittskarte betreten kann. Auf den Marmorplatten der Calle Alcazabilla flitzt eine Schar Motorradfahrer unter den schlanken Palmen vorbei, die sanft von der Meeresbrise bewegt werden. Über den Ruinen und entlang der Klippe schweben Möwen wie geflügelte Boote am Meereshimmel, umarmt von dem immer klarer, unwirklicher werdenden Blau. Doch das Zwitschern gehört nicht nur ihnen, sondern auch den Grünsittichen in den Parks.

Im Park und auf der Freiluftbühne nah am Wasser leben einige Obdachlose. Tagsüber lassen sie mal eine Decke, mal einen Kleiderhaufen zurück, so wie die Larve ihren Kokon zurücklässt. Im Vergleich zu Schmetterlingen aber, können sie nicht wegfliegen. Sie werden Nacht für Nacht in denselben schmutzigen, feuchten Kokon zurückkehren, und wir werden wegschauen, weil wir im Urlaub sind, weil wir entfliehen und uns gut fühlen wollen, weil wir viel Geld für diese Illusion bezahlt haben: Die Stadt des Paradieses.

Am Strand eine Gruppe biegsamer Yogis, Volleyballspieler, ein paar Jungs beim Fußballspielen, zwei Mädchen beim Augenbrauenzupfen und sogar ein waghalsiger Schwimmer unten in den Wellen, obwohl die Temperatur bei diesem rauen Wind aus dem Atlantik erst knapp die 15-Grad-Marke erreicht. Das Meer, vor der Karre des Tourismus gespannt und von Frachtern und Kreuzfahrtschiffen gepeitscht, dehnt sich sanft aus und zischt müde.

Als ich am Abend in die von mir über Booking gemietete 1-Zimmer-Wohnung zurückkehre, denke ich unter den perlmuttfarbigen Wolken mit Nostalgie daran, wie viel geheimnisvollen Charme dieses Ufer gehabt haben muss, mit seinem bewaldeten Hügel (Gibralfaro) und seinen phönizischen und punischen Ruinen, mit seiner befestigten Zitadelle und dem Glockenturm der Kathedrale, wären die riesigen quaderförmigen Wohnblöcke, die Luxusgeschäfte mit Glasfassaden und der ganz viele Zement nicht dazwischen gekommen. Und doch finde ich in der Altstadt ein paar Orte, die mich faszinieren: das fin-de-siècle Innere des Restaurants El Jardin mit seinen Schwingtüren und dem blumigen Fliesenlogo auf der blassrosanen Fassade; ein faszinierender Durchgang mit schwarzen Säulen auf beiden Seiten, der sich in der Abenddämmerung endlos hinter der Plaza de la Constitución zu erstrecken scheint; der Musikinstrumentenladen mit seinen wunderschön ausgerichteten Gitarren, die wie die wellenförmigen, nackten Hüften von Frauen aller Farben aussehen; die Bodega mit Tischen aus Bierfässern, in der sich zwei Hundebesitzer und ihre Vierbeiner treffen. Bei Einbruch der Dunkelheit wird die Stadt durch eine neue, besondere Energie erfüllt und bewegt. Ein ölfarbenes Licht strömt aus den Straßenlaternen und verleiht allem einen eleganten und raffinierten Charme.

Tag 2.

Auf nach Granada!

Málaga. Es ist 8 Uhr morgens und die Straßen wirken wie verlassen. Hier und da ein Müllwagen, ein Mann in orangefarbener Weste, der die Straßen mit einem starken Wasserstrahl wäscht. Autos kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Eine Gruppe Radfahrer (mittleren Alters, in Lycra-Sportkleidung), die in der frischen Morgenluft in die Pedale treten, plappern an der Ampel. Die noch schlafende Stadt lässt sich in ihrer ganzen Authentizität wahrnehmen – ungeschminkt.

Guadalmedina, der Fluss, der zumindest auf der Karte diese Touristenmetropole durchquert (und dessen Name seine arabische Etymologie verrät), ist völlig ausgetrocknet. In sein Betonbett hat jemand mit Kreide den Umriss eines Fußballfeldes gemalt. Dort gibt es auch Rampen für Skateboards – es wird mir klar, dass dieser Fluss meistens trocken bleibt; dass dieses Flussbett nichts weiter als eine domestizierte Stürzrinne ist, ein Kanal, der die gelegentlichen Überschwemmungen von den Bergen auffängt und zum Meer führt. Ein Herr, der mit seinem Schäferhund spazieren geht, streitet mit jemandem am Spielfeldrand. Wie um das Klischee zu bestätigen, fallen die Worte „hijo de puta“, dann verstummt das Gespräch. Auf dem Balkon eines Luxushotels raucht eine Dame mit Kurzhaarschnitt, die von Kopf bis Fuß (bis auf ein blaugrünes Halstuch) in Schwarz gekleidet ist. Unter einer Brücke baut eine Taube mit Blättern im Schnabel ein Nest. Es ist still.

Mit dem Zug nach Granada zu reisen ist ein etwas surreales Erlebnis. Seit Spanien von den schrecklichen Anschlägen am Atocha-Bahnhof erschüttert wurde, werden Passagiere wie am Flughafen kontrolliert. Wir betreten den menschenleeren Bahnsteig erst, nachdem wir die Sicherheitskontrolle passiert haben, und dann warten wir in einer geordneten Schlange, um in den Zug einzusteigen, während die MitarbeiterInnen unsere Fahrkarten sorgfältig nacheinander scannen und genehmigen.

Im Landesinneren liegen die weißen Städtchen dicht an dicht am Fuße der braungrünen Berge, umgeben von geordneten Obstgärten mit Orangen- und Olivenbäumen. Ganze Hänge mit Olivenbäumen. Viele Tunnel. Die rote Erde hat etwas Australisches.

Granada, Land meiner Träume

Nach mehr als einer Stunde fährt der Zug in den Bahnhof von Granada ein. Am Stadtrand empfängt uns ein Flohmarkt – überall liegen bunte Second-Hand-Klamotten. Dekorative Orangenbäume, beladen mit ihren kugeligen Früchten, säumen die Straßen, das Licht blendet. Hier scheinen die Lebensrhythmen noch langsamer, noch verspäteter zu sein: Um 11 Uhr machen die Männer gerade noch ihren Morgenlauf. Und auch diese Männer plaudern ohne Unterbrechung. Unten in der Altstadt laufe ich an den gleichen verstärkten Kathedralen vorbei, halbkreisförmig wie ein offener Fächer, empfinde das gleiche Gefühl horizontaler Massivität. Nur ist der Stein hier geschwärzt, bräunlich.

Die engen Gassen sind voller libanesischer, irakischer und syrischer Restaurants, die geschmackvoll in der Stadtlandschaft (im Stadtbild?) eingebettet sind. Ich probiere schnell eine Empanada mit Spinat und Ricotta aus einer spanischen Bäckerei. Granada ist auch die Stadt von Garcia Lorca (er wurde nicht weit von Santa Fé geboren), aber leider kann ich jetzt beim ihm gewidmeten Museum nicht mal kurz Halt machen. Ich beeile mich, um pünktlich am Eingang der Festung anzukommen.

Ohne im Voraus gekaufte Tickets ist der Zugang zur Alhambra auf keinen Fall garantiert. Heute ist die Stätte seit den Morgenstunden ausverkauft. Die gefragtesten Touren sind bereits zwei Monate im Voraus ausverkauft. Es gibt mehrere Zugangsmöglichkeiten; Um die Paläste der Nasriden nicht zu verpassen, achten Sie darauf, dass diese im gekauften Ticket enthalten sind. Ein kostenloser Audioguide kann unter https://audioguia.alhambra-patronato.es/home heruntergeladen werden.

Alle Straßen (und Touristenströme!) führen nach Alhambra

Die Alhambra thront auf einem steilen Hügel, umgeben von den schroffen, kahlen und schneebedeckten Bergrücken der Sierra Nevada, von deren höchstem Gipfel (Mulhacén, 3481 m) man angeblich Afrika erblicken kann. Auf den zugeschneiten Berghängen ist sogar ein Skigebiet zu erkennen. Theoretisch ist man von Granada aus mit dem Auto in 40 Minuten auf der Piste und in 40 Minuten am Meer – das heißt, mit etwas Glück kann man beides am selben Tag erleben.

Ich besteige den Wachturm „der Kerze“. Der Blick auf den Wallgarten mit fruchttragenden Orangenbäumen, Palmen und Zypressen vor der kühlen, schneebedeckten Kulisse des höchsten Gebirges der Iberischen Halbinsel raubt mir den Atem.

Um mich herum erstrecken sich die Alcazaba (Festung), die Gärten des Klosters des Heiligen Franziskus, die Paläste der Nasriden und der riesige Palast Karls V. Der Innenhof des letzteren, ein Kreis aus 32 Säulen, fügt sich perfekt in das vom massiven Außengebäude gebildete Quadrat. Der Stil ist von der klassischen Antike inspiriert; das Konzept stammt vom Architekten Pedro Machuca und wurde nach der Übernahme der Festung durch die katholischen Monarchen in die Tat umgesetzt (berühmt ist der Moment der Schlüsselübergabe durch Sultan Boabdil). Ich empfinde auch hier dieselbe imposante Horizontalität: ein Symbol für Perfektion und Macht (die Alhambra wurde 1492 von den katholischen Monarchen erobert, gleichzeitig mit der „Entdeckung“ Amerikas!).

Der Kontrast zur fast poetischen Zartheit der filigranen architektonischen Details des Porticos im Partal-Palast (wo der Sultan der Nasriden-Dynastie beim Genießen astronomischer Beobachtungen entspannte) fällt auf. Es ist die Konfrontation zwischen Masse und Feinsinnigkeit, zwischen dem imposanten kartesischen und der diskreten Verfeinerung der Lebensgenuss. Die Pracht der hispano-islamischen Handwerkskunst des 13. und 14. Jahrhunderts begeistert mich: Ich fotografiere zarte, wabenförmige Stuckarbeiten und kursive oder kufische Inschriften, bis mein Akku leer ist.

Aber auch die Technik der Wassergewinnung und -Verteilung in dieser pfälzischen Stadt ist erstaunlich. Unweit der ehemaligen Moschee (heute Kirche) faszinieren mich die angrenzenden Bäder (Hammam), in denen ich mich fast verlaufe, wie in einem Labyrinth. Und im Generalife wird das Wasser (so wichtig für die muslimische Kultur) zu den Gärten, Obstplantagen und Paläste geleitet, zum Teil sogar durch das Geländer einer Treppe!

Maurische Gärten: einfach unvergesslich

Generalife (auf Arabisch Jannat Al- Arif) war das Anwesen, das frisches Obst und Gemüse für den Nasriden-Hof lieferte. Es liegt auf dem Sonnenhügel. Der Palast – die „ländliche“ Erholungsresidenz der 24 Sultane, die in Alhambra aufeinander folgten – wurde metaphorisch „Königliches Haus des Glücks“ genannt. Ich kann mir gut vorstellen, warum. Die prächtigen Gärten duften herrlich (Orangenblüten? Jasmin? Bougainvillea?); die Zinnen der nahe gelegenen Verteidigungstürme ermöglichten – damals wie heute – Spaziergänge in voller Sicherheit; der Innenhof ist intim und voller Farben (Löwenmaul, Ochsenauge, Tulpen, später auch Rosen); die Brunnen zischen berauschend. Leben ist eine Kunst – das vergessen wir oft. Ein Haus zu führen, Gäste zu empfangen, einen Tisch zu decken, einen Raum zu beleuchten – all das ist eine Kunst. Kunst ist der reinen Technik oder Technologie weit überlegen. Es verändert nicht nur die Umgebung, es verwandelt sie. Es ist Geduld, Zeremonie. Vielleicht bestand der Zweck der Kunst nie darin, die Realität nachzuahmen, sie einfach einzufangen und zu reproduzieren, sondern sie durch die Menschlichkeit des Künstlers zu filtern und neu zu erfinden.

Vergangenheit und Gegenwart genießen: verschiedene Raffinessen

Ich flaniere seit über drei Stunden durch die Alhambra und mir ist inzwischen klar, dass nicht mal drei Tage ausreichen würden. Die Zeit: dieser ewige Feind, aber auch derjenige, der alles möglich macht. Und in diesem Moment kann ich nicht darüber hinwegsehen, dass wahrscheinlich selbst diese Schönheit eines Tages verschwinden wird. So ist nun mal das Leben; so ist nun mal unsere Welt. Tatsächlich waren all diese Prachtstücke darauf angelegt, vergänglich zu sein. Alles andere wäre im damaligen islamischen Denken eine Beleidigung Allahs gewesen, des einzigen Ewigen.

Ich würde unheimlich gern hierbleiben, nicht nur auf den Abend warten, sondern auf das Ende des Frühlings, dann des Sommers und des Herbstes und nichts Anderes tun als atmen und beobachten, aber ich muss den Zug zurück nach Málaga erwischen. Ich verlasse die Festung voller Melancholie und schwimme durch die Menschenmengen, die immer wieder an die Tore der Alhambra klopfen. Auf dem Weg in die untere Altstadt, beschließe ich, ein Pionono, ein typischesDessert aus Granada zu genießen. Diese kleine Madeleine mit seinem aromatischen, klebrigen Kern tröstet und muntert mich auf.

Tag 3.

Handwerk und Architektur im ehemaligen Kalifat von Córdoba

Córdoba ist eine größere und flachere Stadt als Granada. Der Park in der Nähe des Bahnhofs hat ein Londoner Flair und die Mandel- und Kirschbäume haben erst angefangen, zaghaft zu blühen. Die Boulevards sind breit und weit geöffnet. Es ist immer noch kühl, aber die gleiche blendende Sonne, nach der ich mich gesehnt habe. Hier – so scheint es mir – gibt es viel Grün: Palmen, Orangenbäume, riesige Platanen, Zypressen, Seidenbäume. Es kommt mir ein wenig seltsam (oder zumindest überflüssig) vor, hier auf Sonnenstudios zu stoßen, die eine schnelle Bräunung versprechen, aber so ist es. Und Video-Arztkonsultationen scheinen im Trend zu liegen – ich sehe immer wieder Werbung dafür.

Córdoba vermittelt mir den Eindruck einer dynamischen, intellektuellen Stadt mit einer besonderen kulturellen Berufung. Ein Ort der Kontraste. Es ist gleichzeitig die Heimatstadt von Maimonides, Averroes und  Abulkasim und Sitz des 2. Tribunals der spanischen Inquisition. Ein Teil des historischen Erbes von Córdoba reicht bis in die Römerzeit zurück (es gibt einen römischen Tempel, ein Mausoleum, sowie die bekannte römische Brücke). Später, nach der arabischen Eroberung, wurde Córdoba zur Hauptstadt des islamischen Kalifats auf der Iberischen Halbinsel. Und vom 7. bis 17. März 2024 findet hier ein Wettbewerb der besten Hamburger Spaniens statt – die unerwartete Krönung einer tausendjährigen Stadtgeschichte. 😊

Mittelalter und goldenes Zeitalter

Gestern war ich zu spät, heute bin ich zu früh bei den Denkmälern angekommen (das Ticket hat eine feste Eintrittszeit). Die Mezquita (Moschee-Kathedrale von Cordoba) ist einen gemütlichen 20-minütigen Spaziergang vom Bahnhof entfernt. Kein Problem, ich spaziere durch die Juderia (das alte jüdische Viertel, in dem einst Sepharden lebten) innerhalb der Mauern der mittelalterlichen Festung.

Ich besuche ein verführerisches andalusisches Haus, so liebevoll restauriert, dass ich es am liebsten nie wieder verlassen würde. Ich bin bereit, den Rest meines Lebens hier im Patio, im Schatten des Obergeschosses, zwischen fleischigen und grünen Pflanzen zu verbringen. Für mich verkörpert dieses Haus die ideale Mischung aus Sinnlichkeit, Schönheit, Pragmatismus und Lebensfreude im Verborgenen. „Asketischer Genuss“[1], um es mit Peter Hilgards Worten auszudrücken. Auch entdecke ich hier, zwischen Gemälden mit hervorragender arabischer Kalligraphie und bunt gestickten Kissen, eine Presse zur Papierherstellung (ca. 10. Jahrhundert). Erst im 11. Jahrhundert verbreitete sich dieses Handwerk via Andalusien ins restliche Westeuropa.

Die Mezquita

Die ehemalige umayyadische Moschee nimmt einen riesigen Raum ein, der fast einem ganzen Stadtviertel entspricht. Bei einem entspannten Bummel dauert es eine gute Weile bis man sie umkreist. Es gibt eine Warteschlange für Tickets und Audioguides, diese sind jedoch weiterhin verfügbar. Der Innenhof empfängt mich mit Orangen- und Palmenbäumen, die von den unverzichtbaren muslimischen Wasserkanälen bewässert werden. Das Wasser wurde 33 Kilometer flussaufwärts aufgefangen und stammte aus den Quellen der Sierra Morena. 1236 besiegten die Katholiken das Kalifat von Córdoba und weihten die Moschee als Kathedrale ein.

Der dunkle Innenraum ist faszinierend. Es ähnelt einem Wald aus dünnen Säulen, einem durch Doppelbögen aus weißem und rotem Stein gekröntes Labyrinth. Die schlanken, baumstammähnliche Säulen in verschiedenen Farben erschaffen die Illusion einer scheinbar endlosen Reihe von Pseudoportalen, durch die man hindurchgehen, sich verlaufen und wieder zu sich selber finden kann. Heute sind die Nischen mit Fresken oder christlichen Votivgemälden und Heiligenstatuen besetzt. Der wilde Eklektizismus erzeugt eine fantastische Atmosphäre: zu den Arabesken und typisch muslimischen Verzierungen (die aus reiner Geometrie und Pflanzenmotiven bestehen) kamen die Gotik und die westeuropäische Renaissance (die Menschwerdung und die anthropozentrische Kunst) hinzu.

Auch die Geschichte dieses unglaublichen Bauwerks ist unvergesslich: Um 750 n. Chr. flieht der 19-jähriger Nachkomme der Umayyaden-Dynastie, Abd-Al-Rahman I, vor den Verfolgungen der Abbasiden aus seinem Heimatland Syrien. Fünf Jahre später kommt er in Spanien an. Nach einem weiteren Jahr erobert er Córdoba und wird der erste umayyadische Emir Andalusiens. Nachdem er hier seine Hauptstadt errichtet hat und eine wachsende muslimische Gemeinde entstand, beginnt er 786 mit dem Bau der ersten Moschee an der Stelle der ehemaligen Basilika St. Vinzenz der Märtyrer (aus der Zeit der westgotischen Invasionen – ca. 6. Jahrhundert). Diese hatte er zuvor seinen christlichen Untertanen abgekauft. (Kürzlich wurden bei archäologischen Ausgrabungen im Untergeschoss auch römische Mosaike freigelegt.) Es folgen drei aufeinanderfolgende Erweiterungen durch verschiedene Nachfolger Al-Rahmans. Das Ergebnis? In der Blütezeit des maurischen Kalifats, als Córdoba eine halbe Million Einwohner erreichte und an Opulenz sogar Damaskus und Byzanz übertraf, konnte die Moschee über 40.000 muslimischen Gläubigen Platz bieten.

Der mit Gold und Lapislazuli besetzte Mihrab ist nach Süden ausgerichtet – und das obwohl Mekka, um ganz genau zu sein, Richtung Südosten liegt. Wieso? Ein Geheimnis. Die Raffinesse der Arbeit, die Oberlichter, durch die mittags ein Sonnenstrahl fällt und die schwebenden Staubpartikel mystisch zum Leuchten bringt, fasziniert mich. Ich verlasse den Innenraum der Mezquita erst, wenn mir schon kalt wird.

Flanieren unter Orangenbäume

Ich wärme mich ein wenig draußen auf und schlendere dann durch die weißen Straßen. Unter einem Orangenbaum am Plaza de Abades genieße ich einen überraschen günstigen Hamburger, neben Gebäuden deren Fenster von bunten Kacheln eingerahmt sind. Die Sonne brennt. Ich stehe auf und laufe immer engeren Straßen entlang. Bald erspähe ich einen Gitarrenmacher bei seiner Arbeit. Freudetrunken und berauscht vor Glück, gehe ich hinunter zum Fluss: dem Guadalquivir – dem Fluss, der Córdoba auf seinem Weg nach Sevilla durchquert, um dann im Golf von Cádiz vom Atlantik verschlungen zu werden…

Zukunftspläne schmieden

Sevilla. Ich wollte sie morgen besuchen, aber wer weiß, ob ich es schaffe: ich habe schon Blasen an den Füßen. Und dann gibt es auch noch das Picasso-Museum und das Geburtshaus des renommierten kubistischen Malers in Málaga, die ich unbedingt besuchen möchte, bevor ich die gemietete Wohnung räume… Beide stehen ganz oben auf meiner Must-see-Liste.

Ganz zu schweigen davon, dass ich seit ein paar Tagen immer öfter mit dem Gedanken spiele, auch Gibraltar zu besichtigen, um dort, von Berberaffen umringt, die Meeresstraße, die verschwommenen Umrisse Afrikas und das Atlasgebirge zu bewundern…

Das fabelhafte Andalusien, Opfer seines eigenen touristischen Erfolgs, bleibt trotzdem unerschöpflich!


[1] P. Hilgard, Der maurische Traum: Dimensionen der Sinnlichkeit in al-Andalus (Verlag Winfried Jenior, 2016).


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